„Bei einigen Leuten frag ich mich, warum sie nicht gleich wieder gehen, die müssen doch auch merken, dass das nicht passt.“ War das ein eindringlicher Blick in meine Richtung? Wie jetzt? Meint sie mich? Ich fühl mich eigentlich ganz wohl, zumindest nicht unwohler als die Ausfragerunden zuvor. „Tja Scheisssituation“ sag ich und bleibe sitzen, schließlich wurde vorher gelacht. Ich geh hier nicht eher, bis einer dieser alternativen, im Bio-Supermarkt einkaufenden, fernsehverachtenden, zum Musik machen in den Park fahrenden und dauerbedröhnten WGler mein wahres Ich erkennt. Ja, ich trage keine Ringelsocken, sondern höchstwahrscheinlich politisch inkorrektes von der Stange, ich spiele kein Instrument und setzte mich nicht gleich im Schneidersitz auf fremde Sofas, und trotzdem pass ich in diese WG. Oder ach scheiss drauf, hauptsache ich pass überhaupt in eine WG.
Das größte Problem an der ganzen WG-Suche ist überhaupt nur, dass man am Ende gar nicht mehr weiß, wer man eigentlich wirklich ist. Jedes Mal gewillt mich so zu geben wie ich bin, ob mir etwas gefällt oder auch nicht, wird dieser grandiose Plan schon über den Haufen geworfen sobald ich die Klingel drücke. „Du wohnst im 6. Stock... ach... das stört mich nicht. Sport im Alltag bla bla.“ Nicht nur, dass ich versuche mir so etwas einzureden, ich komm auch noch oben an und verkaufe, dass ich nur halb außer Atem bin, während ich eigentlich nach der Sauerstoffzufuhr in Reinformat Ausschau halte. Letztendlich ist die WG der große Meister und hält alle Schlüssel in der Hand. Da nun mal auch der ersehnte eigene WG-Schlüssel dabei ist, verkauft man sich mehr als dass man sich kaufen lässt. Schon allein aus der eigenen Natur heraus, kann ich die Wohnung nicht verlassen ohne das Gefühl, dass die Person da drin mich irgendwie mochte. Meine Menschenkenntnis hat mich auf jeden fall ein ums andere Mal betrogen. Keine WG wollte mich, über die Hälfte hat mir das noch nicht einmal gesagt. Die Erkenntnis musste irgendwann von selbst kommen. Das ernstzunehmende daraus resultierende Ego-Problem laste ich eindeutig diesen Erfahrungen an.
Die verwirrendste Begegnung war bei „Sie haben 10 Sekunden – Los geht’s“. Ich betrete die düstere aber wirklich schöne Wohnung mit hohen Wänden, Riesenräumen, antiken Möbeln und innovativer Badeinrichtung. Dieser Wohnungsinhaber braucht keinen Mitbewohner, er sucht einen zum Spaß. Eigentlich hat er genug Geld um alleine zu wohnen, aber warum nicht sich ab und an einem Menschen im Nebenzimmer halten. Da das Zimmer trotz muffigen Geruchs wirklich grandios und günstig war, hieß es für mich sich also ins Zeug legen. Ein Mammutsprojekt schließlich war ich Alleinunterhalter, denn scheinbar hat schon mein Outfit nicht überzeugt und so redete der Mann praktisch kaum mit mir. Nach zehn Minuten hatte ich ihn scheinbar mit meiner Persönlichkeit aus der Reserve gelockt und er erzählte tatsächlich etwas über sich, die Wohnung, seine Arbeit. Am Samstag war ein Straßenumzug seines Theaters, er selbst ist dort Lichttechniker. In meiner Gedankenwelt legte ich mir zurecht dort noch mal aufzutauchen, für heute reichte es. Müdigkeit, Fussschmerzen und der Rücken zwangen mich auf den Heimweg. Auf dem Weg zur Tür erklärte mir dann seine Vorgehensweise: Er würde das spontan entscheiden. Wenn er denkt das passt, dann passt das und wenn nicht, dann nicht. Wie jetzt? Also passe ich nicht? Passe ich eventuell? Wozu zum Teufel latschen wir denn hier zwanzig Minuten durch die Wohnung, wenn er es eh schon auf dem Weg hoch zur Wohnung wusste. Einverstanden, dann passe ich wohl nicht. Am Samstag regnete es in Strömen und ich freute mich diebisch, dass eine meiner Hasshoffnungen erfüllt wurde.
Nach 52 Anfragen, 19 Antworten, 15 Wohnungsbesichtigungen und dem eigentlich entscheidenden einer Zusage ist für mich jetzt erstmal Schluss. Aber in einem halben Jahr bin ich wieder auf dem Berliner Wohnungsmarkt unterwegs, schließlich wohn ich nur zur Zwischenmiete.
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