Dienstag, 30. März 2010

Fiktives für Zwischendurch

Immer nur aus dem Erasmus-Alltag zu berichten kann ermüdend wirken, also hier ein bisschen Prosa für Zwischendurch. Kann ja nicht alles düstere Realität sein.

Durchatmen

Genau wie jeden Dienstag kam sie auch diesen Morgen zu spät. Vorsichtig öffnet sie die Tür. Setzt den ersten Fuß zaghaft in den viel zu stickigen Seminarraum. Ein freundliches Lächeln nach vorne und ein schockierter Blick zur Seite. Nur noch ein Platz. Neben ihm. Ein kurzes Durchatmen und ohne auch nur einen Blick nach links zu wagen, setzt sie sich. Sie sieht wie seine Hand sich bewegt. Er schreibt mit. Verstohlen beobachtet sie seine Bewegung. Die Adern heben sich auf seinem Handrücken. Er krempelt sich die Ärmel hoch und schreibt weiter. Sie muss lächeln. Zwingt sich wegzusehen. Die Aufforderung sich in Gruppen zusammen zu finden und zu diskutieren ist die willkommene Einladung zu flüchten. Von der anderen Seite des Raumes war sie zwar nun getrennt von ihm, die Macht sich ständig umzudrehen, konnte es nicht unterbinden. Jedes mal wenn sie sich dabei ertappte wieder einmal hinzusehen, biss sie sich auf die Lippen und schloss die Augen. Was sie nicht sah, konnte er auch nicht sehen. Ihr war sehr wohl bewusst, dass ihre Blicke auf seine Unterarme, seinen Brustkorb und seinen Bart nicht unbemerkt blieben. Das einzige was ihr blieb war den direkten Augenkontakt zu meiden. Nicht seinen ausdruckslosen Blick zu sehen oder noch schlimmer einen nachfragenden Blick zu erkennen. Sie wollte unbemerkt bleiben. Die Stunde kroch langsam dem Ende entgegen. Dem wieder aus den Gruppengesprächen zurück, ihm entgegen. Sie setzt sich auf ihren ursprünglichen Platz. Blick gerade aus, mit beiden Händen Block und Stift umfasst. Ein vorsichtiger Blick zur Uhr verrät: nur noch fünf Minuten. Da merkt sie es. Die Haut auf ihrer linken Wange wird warm. Ihre Hände fangen an zittern. Er guckt sie an. Sie schließt die Augen, was sie nicht sieht, merkt sie nicht. Es nützt nichts, der leichte Hauch eines anfangenden Satzes schlägt gegen ihr Gesicht. Er fragt, wann die Stunde endlich vorbei sei. Sie presst die Augen fester zusammen und hält die Luft an. Das Geräusch von zusammen schurrenden Stühlen, zuklappenden Blöcken und erleichterten Studenten ist zu hören. Als sie die Augen wieder öffnet ist sie alleine. Weiteratmen.

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